19.09.2007

Zivilcourage zeigen

Betrifft: Bericht „Auch Paderborn hat Probleme“ in der Ausgabe vom 12. September.

Ich bin sauer, stinksauer auf die Worte, mit denen Horst Köhler vom Staatschutz Bielefeld in dem Artikel erwähnt wird. Behauptet er doch, dass der Staatsschutz eingreife, wenn Menschen bedroht würden. Aus eigener Erfahrung ist mir bewusst, dass der Staatschutz in Bielefeld kein Teil einer Lösung, sondern ein Teil des Problems ist.

Jede Anzeige, die ein Opfer stellt, führt dazu, dass eine Akte angelegt wird. Die Polizei geht dabei höchst unsensibel vor. Es werden Fragen gestellt, die für den Fall unerheblich sind, aber eine große Rolle für den Schutz der Opfer darstellen. In dem weiteren Verfahren erhalten dann die Rechtsextremen Einsichten in die Akte und die Bedrohung wächst. So hat es zum Beispiel in mindestens einem Fall einen erneuten Angriff gegeben, nachdem die Nazis über die Akteneinsicht die Adresse ihres Opfers erfuhren. Die Konsequenz ist, dass immer weniger Menschen, bei denen massive Straftaten angedroht oder durchgeführt werden, dieses zur Anzeige bringen. Mir selber sind sechs Betroffene aus OWL bekannt, die körperliche Gewalt erleiden mussten und die aus diesen Gründen darüber nicht die Polizei informiert haben.

Ermittlungen gegen Nazis werden gerade beim Staatschutz Bielefeld für den Köhler arbeitet, eher schlampig ausgeführt. Teilt ein Betroffener der Polizei zum Beispiel mit, dass über ihn diverse Internetartikel verbreitet wurden, ist diese nicht in der Lage, den Sachverhalt einfach zu googeln. Erst vor kurzem wurden die Verfahren gegen drei Neonazis vor dem Amtsgericht Minden eingestellt. Diese hatten einen Menschen mit einem Bierkrug niedergeschlagen, weil er ein T-Shirt mit dem Aufdruck „No Nazis“ trug. Ein Grund hierfür war unter anderem auch die schlampige Arbeit der Polizei. Ermittlungserfolge sind dementsprechend dürftig.

In NRW gibt es nicht eine Opferberatungsstelle. Betroffene stehen daher oft der Polizei allein gegenüber, zu denen sie wenig bis kein Vertrauen haben oder müssen hohe Rechtsanwaltskosten bezahlen. Auf Bundes- und Landesebene vorhandene Gelder liegen brach, da diese nur über Beratungsstellen ausgezahlt werden können. Nazis, so scheint es, gibt es für Behördenleiter und Politiker nur im Osten, die Betroffene werden im Westen alleingelassen. Wegsehen, soweit das Auge reicht.

Schüler wissen, wer Synagoge beschmiert hat

Diese Politik funktioniert im Übrigen auch hervorragend in Paderborn. Vor einigen Monaten stand ein Karton mit 50 Schulhof-CDs der NPD vor einem Paderborner Gymnasium. Er war innerhalb weniger Minuten leer und die Schüler, die keine CD erhielten, kopiert diese auf Ihren MP3-Player. Es gibt Berichte, dass die CD ein Verbreitungsgrad von über 50 % bei den männlichen Schülern erreichte. Lehrer und Schulleitung hören anscheinend nicht so genau hin, welche Musik dann aus den Kopfhörern dröhnt.

Wer hinhört und mit Schülern spricht, erfährt, wie in dem oben erwähnten Gymnasium und bei mindestens einer weiteren Schule langsam aber sicher die Stimmung umschwingt. Dumme Sprüche und kleine Hetzjagd gegen Andersdenkende von Jugendlichen, die dieses aus einer rechten Gesinnung heraus tun, nehmen zu. Einige Schüler wissen sehr genau, wer zum Beispiel die Synagoge zum Neujahrsfest beschmiert hat. Ach übrigens eine Folge des Naziaufmarsches am 28.4.

Noch ist etwas zu ändern. Im Großen müssen endlich Opferberatungsstellen eingerichtet werden und die Polizei muss lernen das Betroffene einen besonderen Schutz brauchen. Der Kreis Paderborn und die Kommunen sollten Mittel zur Verfügung stellen und damit insbesondere antifaschistische Arbeit unterstützen. Paderborn Vereine und Institutionen müssen kontinuierlich versuchen, den braunen Rattenfängern die Mitläufer zu entziehen. Die Teilnahme an einem Paderborner Bündnis, dass „nur“ während Naziaufmärschen „Gegenevents“ veranstaltet, reicht nicht. Permanente und intensive Arbeit ist wichtig. Im Kleinen gibt es nur eins zu sagen: „Handeln, nicht wegsehen“, und diesen Wunsch richte ich besonders an die Schüler. Mir ist bewusst, dass es gerade an den Schulen schwieriger werden wird, sich in seiner Meinung gegen Rechts zu behaupten und mir ist bewusst, dass es in Paderborn noch lange dauert, bis das Problem erkannt wird. Ich wünsche daher besonders den Schülern viel Kraft, Zivilcourage zu zeigen.                                      Frank Gockel 32756 Detmold